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In seinem neuen Buch ‚Jenseits des Buddhismus: Eine säkulare Vision des Dharma‘ skizziert Stephen Batchelor einen Buddhismus, der sowohl auf die Ursprünge der Tradition zurückgeht, als auch ein Dharma für unsere säkulare Zeit sein kann.

‚Jenseits des Buddhismus‘ ist Stephen Batchelors Zusammenfassung seines Verständnisses des Buddhismus, das Destillat einer über dreißig Jahre währenden publizistischen Beschäftigung mit dem Thema. Die Grundfragen, die sich für ihn immer und immer wieder stellen, lauten: Was bedeutet es, das Dharma in unserer Zeit zu praktizieren? In welcher Weise ist es für uns Heutige relevant? Und: Kann es ohne quasi-religiöse Institutionen, ohne Dogmatik, Metaphysik und Weltabgewandtheit auskommen, also säkular sein? Letztere Frage hat Batchelor bereits in seinem Essay ‚A secular Buddhism‘ von 2012 zustimmend beantwortet, der quasi skizzenartig darlegt, was im neuen Buch auf 536 Seiten ausgearbeitet wird.
Ganz im Sinne der buddhistischen Traditionen beginnt Stephen Batchelor sein Buch mit einem Gleichnis, das der Buddha selbst einmal erzählte, als er mit einer Gruppe Asketen, Priestern und weisen Männern konfrontiert war, die verschiedene Meinungen zu einigen der großen Fragen – ist die Welt ewig oder nicht, leben wir nach dem Tod weiter, … – vertraten. Jeder war überzeugt, dass nur seine Sicht die richtige wäre. In dem Gleichnis lässt ein König alle von Geburt an Blinden seines Reiches zu sich kommen und einen Elefanten vorführen. Nachdem die Blinden unterschiedliche Körperteile des Tieres – die Ohren, den Rüssel, ein Bein, eine Flanke, den Schweif – betastet haben, fragt der König sie: „Nun also, was ist ein Elefant?“ Und jeder Blinde antwortet etwas anderes. Einmal ist er wie ein Abstellraum, ein anderes Mal wie eine Säule, wie ein Besen und so fort – bis die Blinden, jeder in der Überzeugung, zu wissen, was ein Elefant nun ist, aufeinander losgehen.
Die Moral von der Geschichte ist, dass das Dharma sich nicht auf eine Reihe von Wahrheitsbehauptungen reduzieren lässt, auf die ja doch nur gegenteilige Argumente folgen würden – und so ginge es endlos weiter. „Ein Anhänger des Dharma streitet mit niemandem“, sagte der Buddha. Schon gar nicht, wenn es um metaphysische, sprich wesenhaft unentscheidbare Fragen geht. Daher ließ er sich auch nicht auf die Argumente der Gruppe ein. Ihm ging es um das Dharma, den ‚ganzen Elefanten‘.
„Dieser ,ganze Elefant‘ lässt sich mit einem komplexen Lebewesen vergleichen, dessen einzelne Teile dieses rätselhafte Wesen, das atmet, isst, aufrecht geht und schläft – nämlich uns – mit Leben erfüllt. Die Dharma-Praxis zeigt die Grenzen des menschlichen Denkens und der Sprache auf, sobald wir uns mit dem Rätsel auseinandersetzen, überhaupt da zu sein. Alle Menschen, ob sie nun religiös oder säkular sind, teilen dieses Gefühl des Nichtwissens und des Wunders“, sagt Stephen Batchelor und spricht damit auch schon seine zentrale These aus: dass das Dharma nämlich seinem Wesen nach säkular ist, das heißt, keine religiösen oder metaphysischen Aussagen macht bzw. sich nicht darauf festlegen lässt. Und daher ist es für alle, ob religiös oder nicht, zugänglich.
Im Gegenteil, metaphysische Festlegungen sind sogar hinderlich dabei, das Dharma für sich anzunehmen, und auch dazu gibt es eine schöne Parabel, die der Buddha erzählte und Batchelor zitiert: Ein Mann wurde von einem vergifteten Pfeil getroffen und liegt blutend und verwundet da. Seine Freunde wollen einen Arzt rufen, der den Pfeil aus seinem Leib entfernen soll, doch der Mann besteht darauf, zuerst wissen zu wollen, wer den Pfeil abgeschossen hat, aus welchem Holz dieser geschnitzt ist, welche Art von Feder auf dem Pfeil angebracht ist ... Natürlich wird der Mann sterben, ehe er seine Antworten bekommt. Für den Buddha ist das die Geisteshaltung jener, die zuerst alle ihre metaphysischen Fragen beantwortet haben wollen, ehe sie sich eventuell dem Dharma zuwenden. Die Aufgabe liege jedoch darin, das Dharma anzunehmen und dadurch den ‚Pfeil‘ des Leidens zu entfernen.
Metaphysische Spekulation ist Nebensache – dieser Punkt ist Stephen Batchelor vor allem deshalb so wichtig, weil er das Dharma insbesondere uns westlichen Menschen von heute nahebringen möchte, die wir ja in einer weitgehend säkularen Welt leben. Dabei kommt ihm der Umstand zu Hilfe, dass der Buddhismus im Laufe seiner mehr als 2.400 Jahre währenden Entwicklung immer wieder in wechselseitig befruchtenden Beziehungen mit den verschiedensten Kulturen gestanden ist. Warum sollte eine solche nicht auch mit unserer gegenwärtigen westlichen Kultur entstehen? Weder diese noch das Dharma brauchen sich dabei zu verleugnen.
Batchelor entrümpelt den buddhistischen Kanon so weit von dessen metaphysischen Anteilen, bis nur noch vier originär buddhistische Grundideen übrigbleiben, sprich, solche, die man nicht auch im Hinduismus und im Jainismus jener Zeit findet. Er nennt sie ,die vier P‘:
- das Prinzip der Bedingtheit (Ursache-Wirkung);
- die Praxis der vierfachen Aufgabe (klassischerweise die ‚Vier Edlen Wahrheiten‘ genannt);
- die Perspektive der Achtsamkeit
- die Kraft (Power) der Eigenständigkeit
Diese Grundideen sind natürlich miteinander verschränkt: Das Prinzip der Bedingtheit bildet den Kontext, in dem sich die Praxis der vierfachen Aufgabe entfaltet, die wiederum darin besteht: Einsicht in das Leiden zu gewinnen; es bleiben zu lassen, darauf abwehrend zu reagieren; den Prozess der Nicht-Reaktivität zu beobachten; und den ‚Achtfachen Pfad‘ (rechte/r/s Einsicht, Entschluss, Rede, Handeln, Lebensunterhalt, Streben, Bewusstheit, Versenkung) zu kultivieren, dem seinerseits die Perspektive der Achtsamkeit zugrunde liegt. Was alles letztendlich zur Kraft einer eigenständigen Dharma-Praxis führt.
Stephen Batchelor stößt sich in mehreren Punkten an der buddhistischen Orthodoxie. Anhand seiner eigenen, auch philologischen Studien der frühen Texte und Zeugnisse von Reden und Taten des Buddha versucht er nachzuweisen, dass es sich beim Dharma im ursprünglichen Sinne nicht um ‚Wahrheiten‘ handelte, sondern um ‚Aufgaben‘, die uns im Rahmen unseres In-der-Welt-Seins gestellt werden. Wahrheiten, so Batchelor, seien metaphysische Postulate, Aufgaben hingegen konkrete, situationsbezogene Lösungsansätze.
Ein zweiter zentraler Punkt, an dem Stephen Batchelor die Orthodoxie in Frage stellt, ist der des Leidens, das in der Praxis der vierfachen Aufgabe (üblicherweise, wie erwähnt, als die ‚Vier Edlen Wahrheiten‘ bezeichnet) angesprochen wird. Für ihn ist Dreh- und Angelpunkt der Aufgabe eben nicht das Leiden, sondern die Totalität dessen, was einem Menschen in Reibung mit der Welt im Laufe seines Lebens geschieht. Es handle sich darum, das Leben im Ganzen anzunehmen, ein Leben, das gleichermaßen von Schmerz und von Freude, von Leid und Lust geprägt ist. Entsprechend wandelt er die ‚Vier Edlen Wahrheiten‘ in folgende Aufforderungen um: Nimm das Leben an! Lass das, was kommt, los! Beobachte, wie es aufhört! Handle!
Wir können das Dharma, so Stephen Batchelor, mitsamt seinen ethischen Implikationen annehmen, ohne religiös werden oder in ein Kloster gehen zu müssen. Es handelt sich um einen persönlichen und ethischen Weg des In-der-Welt-Seins, entscheidend sei, wie Batchelor einmal in einem Vortrag meinte, ‚to do the business of living a bit better, to embrace this world second by second‘. Es geht demnach, wie schon anfangs erwähnt, um den ganzen Elefanten.

Jenseits des Buddhismus: Eine säkulare Vision des Dharma
Theravada-Buddhismus und Tibetischer Buddhismus
Edition Steinreich, 2017
536 Seiten

Rezensiert von Harald Sager

 

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