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Leben

Unter diesem Titel fand vom 8. bis 11. September 2022 eine internationale Zen-Konferenz im Lassalle-Haus bei Zug in der Schweiz statt. Fünf bedeutende Interpreten und Vertreter des Zen gaben umfassende Anregungen.

Abt Muho Nölke aus Japan, Zen-Meisterin Doris Zölls vom Benediktushof in Deutschland, Vanja Palmers, Zen-Priester und Gründer des Zentrums Felsentor in der Schweiz, Friederike Boissevain, Zen-Lehrerin, Onkologin und ärztliche Leiterin eines Hospizes in Norddeutschland, sowie Paul Morgan-Somers aus England – eine spirituelle Persönlichkeit außerhalb aller Traditionen – hielten Vorträge und gestalteten zahlreiche Workshops. Ergänzt wurde die Tagung durch ein Kunstforum mit Zen-Lehrerin Kathrin Stotz und einem Musikvortrag von Mario Strebel.

Worum geht es im Zen? Das war die zentrale Frage auf dieser Konferenz mit rund einhundert Teilnehmerinnen und Teilnehmern, und die Antworten waren vielfältig und gleichzeitig getragen von einer tiefen gemeinsamen Empfindung, die das unbeschreibliche „Wesen“ des Zen anklingen ließ. Worte können es nicht fassen, und die Gespräche darüber vermochten es daher nur in Andeutungen zu vermitteln – so wie ein Finger, der auf den Mond zeigt. Und doch ist er zugleich dieses Wesen selbst, gerade wie „Guteis Finger“.

Zen wird nie fassbar sein, denn wäre dies möglich, wäre es kein Zen.

„Zeitlose Weisheit“ ist keine Geschichte, stellte Abt Muho in seinem Referat fest. Sie weist über alle Erfahrungen hinaus in jenen unbeschreiblichen Bereich, der, ungetrennt von allen Erscheinungen, alles ist. Im Zen wird er als Wesens- oder Buddhanatur allen Seins bezeichnet. Und wenn sich Abt Muho fragte, ob Zen im Sterben liege – in Japan oder auch insgesamt –, so meinte er, dass alles doch stets stürbe, auch während wir sauber machten und arbeiteten, wie er es in seinen achtzehn Jahren als Abt des japanischen Soto-Klosters Antaiji täglich erlebte. Ebenso stürben auch die Konzepte, die wir von allem Möglichen haben. Satori sei hier und klopfe an, doch meine man, dafür noch etwas tun zu müssen.

Friederike Boissevains Sicht auf Zen ist von ihrer ärztlichen Tätigkeit mit Sterbenden geprägt, und zugleich prägt Zen ihre Arbeit. Dabei geht es ihr um das Zusammenfügen: das Dunkle und das Helle, das Glatte und das Schrumpelige, das Gesunde und das Kranke, das Extreme und das „Normale“, die Außen- und die Innenwelt. An ihre Tür klopft die „Schicksalssymphonie“. Dazu sage der Zen-Geist: „Her damit!“, doch dann müsse man sich auch darum kümmern. In der Welt der Polarisierung sei das Lebensende das Egalisierende. Das Leben vom Ende her denkend, erkenne man das einzelne Ereignis als kostbar. Das Ende bringe ja ohnehin den Verlust der Rollen und aller Geschichten, so wie es im Zazen bereits zeitweilig geschehe. Sich hinsetzen, erwachen und handeln – ganz eins.

„Das große Geheimnis ist unergründlich – ich gelobe es zu verwirklichen“ – ist Vanja Palmers Übersetzung eines buddhistischen Versprechens, und gleichzeitig plädiert er für die Begrenzung auf das Machbare: nicht zu viel, nicht zu wenig. Die Tiere sind ihm dabei Dharma-Tore, die uns immer offenstehen, denn ihre Nähe zum Menschen sei größer, als wir allgemein annähmen: „Schweine sind praktisch horizontale Menschen und wir vertikale Schweine.“ Sie vermögen, uns in die Gegenwart zu bringen, weil sie selbst stets dort sind, und ebenso die Pflanzen, was immer sie in uns bewirken, wenn wir sie zu uns nehmen. Pilze, Früchte, Gemüse … Doch in dieser Weise präsent zu werden, sei kein Ersatz für die Praxis der Meditation.

Die Wirklichkeit ist nach Doris Zölls nicht das, was wir denken, denn sie ist paradox. Die Reflexion darüber könne gar so stark werden, dass sie das Erleben völlig überdecke. Fehle aber die Unmittelbarkeit des Erlebens, dann entstehe das Gefühl, nicht wirklich zu leben. Demgegenüber versuchten Koans, uns in die Lebendigkeit zu führen. Im „Nicht“, das in den Koans wie auch im Herz-Sutra immer wieder Erwähnung findet, komme dabei nicht eine Verneinung zum Ausdruck, sondern vielmehr das Übersteigen der Dualität: Form und Nichtform als eins. Diesbezüglich gibt es auch keine Wahl, wie Sosan es sagt: „Der höchste Weg ist nicht schwer, wenn du nur nicht wählst.“ „Nichts“ heißt jenseits jeder Dualität. „Was aber bedeutet dies für mein normales Leben?“, fragt sie sich.

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Paul Morgan-Somers’ tiefe spirituelle Erfahrung, die ihn schon in jungen Jahren erreichte, zeigt viele Parallelen zu Zen, das die Leere in allen Erscheinungen und die Einheit jenseits aller Dualität sieht. „Alles singt das Lied seiner eigenen Abwesenheit“ – so drückte er es aus. Worte und Stille – nicht zwei, Sprecher und Zuhörende – nicht zwei. Wer die Unendlichkeit aufteile, werde zum gebärenden, zum bewegenden und zum sterbenden Wesen. Da „Wissen“ nur im Vergleich von zwei zuvor getrennten Dingen erscheinen könne, gebe es kein absolutes Verstehen. Wie soll die Welle verstehen, dass sie der Ozean ist? Dass sie nur eine Erscheinung ist – ohne eigene Substanz? Für das Wissen und den Wissenden sei es nicht möglich, die eigene Abwesenheit zu sehen.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 122: „Resilienz"

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Alles in allem zeigte diese Zen-Konferenz, wie sich der Versuch des Verstehens an seiner eigenen Unmöglichkeit reibt, an der Unfassbarkeit eines proklamierten „Geistes“, an der Paradoxie dessen, was uns als „Wirklichkeit“ erscheint. Zen wird nie fassbar sein, denn wäre dies möglich, wäre es kein Zen. Wer im lebendigen Austausch der Sangha die „eine Antwort“ suchte, konnte sie nicht finden, aber viele meinten zum Schluss, dass das Gesagte sie beschäftige. Gerade auch darin zeigt sich der Mond.

Dr. Dieter Wartenweiler ist autorisierter Zen-Meister und Leiter der besprochenen Zen-Konferenz. Er führt ein Zendo in der Schweiz, ist als Referent und Kursleiter tätig und veröffentlichte mehrere Bücher.
Bilder© Dieter Wartenweiler
Dieter Wartenweiler

Dieter Wartenweiler

Dr. Dieter Wartenweiler ist autorisierter Zen-Meister und Leiter der besprochenen Zen-Konferenz. Er führt ein Zendo in der Schweiz, ist als Referent und Kursleiter tätig und veröffentlichte mehrere Bücher.
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