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Leben

In jeder noch so guten Partnerschaft gibt es Meinungsverschiedenheiten, die gelöst werden müssen. Im Streit nicht den Kopf zu verlieren, ist aber manchmal gar nicht so leicht.

Eine achtsame, harmonische Partnerschaft bedeutet, einen Raum zu kreieren, in dem zwei unterschiedliche Menschen möglichst viel Freude, Lebendigkeit und Geborgenheit mit sich selbst und dem anderen erleben können. Manchmal gelingt das sehr leicht, und beide sind zufrieden. Da das Leben Wandlung bedeutet, muss dieser Raum aber immer wieder neu ausgehandelt werden. Um neue Bedingungen und Verhaltensweisen zu vereinbaren, werden Gespräche geführt – mal ganz ruhig, mal als lautstarker Streit.   

Wichtige Themen sind immer mit Emotionen verbunden. Sie anzusprechen ist meistens aufregend. Vielleicht ist es ungewohnt, über ein bestimmtes Thema zu reden. Vielleicht ist noch nicht alles durchdacht, aber der Druck ist schon zu groß, als dass es sich noch zurückhalten ließe. Je dringender der Klärungswunsch, desto gestresster der Mensch. Unkontrollierbare Gefühle spielen mit. Die Nerven sind angespannt. Zusätzlich ist es durchaus heikel, wichtige Themen und Herzensanliegen anzusprechen: Das Gegenüber könnte nicht zuhören oder nicht verstehen, das Thema ablehnen oder verharmlosen, überfordert sein und selbst gereizt reagieren, im schlimmsten Fall die Beziehung beenden. Deshalb kann es zum Streit kommen, obwohl ein ruhiges Gespräch besser gewesen wäre.

Wenn ein Konflikt geklärt und neue Aspekte ausgehandelt werden können, dann verbindet ein Streit. Dafür ist es wichtig, fair zu bleiben. Konflikte fair zu klären – egal ob leise oder laut – bedeutet, Achtsamkeit einzusetzen. Achtsam zu streiten ist eine hohe Kunst, weil eine Gleichzeitigkeit von Emotionen und Verstand hergestellt werden muss. Das ist nicht immer leicht, denn wenn Stress im Spiel ist, hat es der Verstand schwer, sich gegen die Emotionen zu behaupten.

Streit

Achtsam werden, sich besinnen

Trotz aller Vorbereitung, allen guten Willens passiert es doch, dass sich ein Gespräch hochschaukelt. Plötzlich ist alles lauter, heftiger als beabsichtigt, und Klärung scheint bis auf Weiteres nicht in Sicht. In solchen Situationen stellt es eine Herausforderung dar, die Kurve zu kriegen. Starke Emotionen stehen klarem Denken im Weg. Wenn man selbst in Not ist, dann sind Mitgefühl und Wertschätzung für andere Menschen auch nicht mehr möglich. Dann heißt es, sich um sich selbst zu kümmern. Gerade im Streit ist es wichtig, auf sich selbst zu schauen, denn der andere kann sich nicht kümmern. Er ist mit seinen eigenen Gefühlen beschäftigt. Hier hilft eine kurze Pause, um sich zu besinnen, sich selbst wahrzunehmen und zu erkennen, dass man in Not ist. Gefühle wie Verwirrung, Verzweiflung, Resignation, Panik, innere Starre oder der starke Impuls zu fliehen können aufkommen. Gedanken wie „ich werde einfach nicht verstanden“, „der oder die will mich nicht verstehen“ oder „das hat keinen Sinn“ wahrnehmen. Tief atmen sowie die Schultern und den Bauch entspannen. Versuchen, alle Emotionen im Körper, in der Mimik und Gestik wahrzunehmen. Überlegen, welche Bedürfnisse man gerade hat.

Wenn der Atem wieder fließt, die innere Anspannung erträglicher geworden ist und gleichzeitig der Wunsch besteht, diesen Streit ruhiger weiterzuführen, dann bedarf es weiterer Interventionen. Auch die andere Streitpartei ist in Not und braucht ebenfalls Hilfe, um sich zu beruhigen. Wenn aneinander vorbeigeredet wird und das Gefühl entsteht, unbeachtet, ungehört und unverstanden zu sein, kann das weiter eskalierend wirken. Entsprechend ist man sofort entspannter, wenn signalisiert werden kann, dass man gesehen und gehört wird. Dann ist auch klareres Denken wieder möglich. Und das wird gebraucht, um verstanden zu werden und neue Vereinbarungen zu treffen.    

Welche Emotionen sind in der Mimik und Gestik des anderen zu lesen? Welche Bedürfnisse könnten dem anderen gerade wichtig sein? Den Partner oder die Partnerin mit Namen ansprechen. Fragen stellen: „Bist du traurig, weil du dir mehr Verbindung wünschst?“, „Geht es dir um mehr Selbstbestimmung?“, „Ist dir Entwicklung wichtig, dass es weitergeht?“ Zuhören und weiterfragen.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 115: „Rede mit mir!"

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Zusätzlich deeskalierend wirkt es, immer wieder selbst zu erläutern, wie das Gesagte verstanden wurde, und auch nachzufragen, wie denn die andere Person das eigene Gesagte verstanden hat. Jeder Mensch interpretiert Worte und Situationen auf Basis der eigenen Biografie und inneren Erlebniswelt anders. Missverständnisse entstehen. Durch Nachfragen und Erklären hat jeder die Chance, mit weiteren Erläuterungen oder einer anderen Wortwahl zu beeinflussen, was verstanden wird. So kann ein wiederholtes Aufschaukeln der Emotionen gebannt werden.

Meinungsverschiedenheiten und Konflikte gehören zu einer Partnerschaft. Sich darüber auszutauschen, verbindet und vertieft die Partnerschaft. Achtsamkeit hilft dabei, Emotionen zu bändigen, Zuhören und Verstehen zu ermöglichen und Konflikte gut durchzustehen.

 

 Achtsamkeit im Streit. Vorab einen Grundzustand erzeugen und sich bewusst werden:

▪ Unterschiedliche Menschen haben unterschiedliche innere Erlebniswelten, egal, wie gut sich verstanden wird und wie viele Gemeinsamkeiten geteilt werden.  

▪ Worte sind Krücken und können jederzeit von anderen anders verstanden und interpretiert werden als ursprünglich gemeint. Das hängt mit den unterschiedlichen Erlebniswelten zusammen.

▪ Jeder Mensch versucht, zu jeder Zeit mit all seinem Handeln und Nicht-Handeln eigene Bedürfnisse zu erfüllen. Es kann sein, dass aus Unwissenheit oder Alternativlosigkeit Verhalten nicht optimal ist und die Bedürfnisse des anderen auf der Strecke bleiben.

▪ Den Unterschied zwischen Person und Verhalten vor Augen haben. Eine Person zu schätzen und zu lieben heißt nicht, jederzeit jedes Verhalten zu mögen – und umgekehrt.

▪ Es gibt nur subjektive Wahrheiten, deshalb sollte nur in der „Ich-Form“ gesprochen werden.

▪ Wenn ein Mensch, mit dem in der Regel ruhig gesprochen werden kann, laut oder heftig wird, ist dieser Mensch sehr unter Druck und vielleicht sogar in Not.

▪ Egal, wie unbedeutend das Thema auch erscheinen mag, wenn es angesprochen wird, ist es für die andere Person wichtig und will mit Wertschätzung und Anteilnahme aufgenommen werden.  

▪ Wenn es hoch hergeht, kann es sein, dass die Flucht ergriffen werden möchte. Das ist grundsätzlich okay, wenn im Vorfeld besprochen wird, wozu dieser Rückzug dienen soll und was das für den Konflikt bedeutet. Aus einer Situation zu fliehen soll in erster Linie Stress abbauen und klares Denken ermöglichen, eine ganz normale Regulierungsmaßnahme.

▪ In der Partnerschaft braucht es Konsens, keine Kompromisse. Kompromisse haben den Geschmack von Verlust und Frust, weil verhandelt wird, was wegfallen kann. Konsens beruht darauf, eine Lösung zu finden, die alle wichtigen Aspekte Beider einschließt und Lust macht.

Tipps, damit ein Gespräch oder Streit möglichst achtsam bleibt:

▪ Es gibt kein „nie“, „immer“, „ständig“ und all die anderen Verallgemeinerungen. Niemand kann so sein. Es gibt genügend Momente, in denen die Person anders ist. Welche konkreten Situationen haben zu der Verallgemeinerung geführt? Je konkreter, je besser, also Zahlen, Daten, Fakten.

▪ „Ja, und“ statt „ja, aber“: „Ja, aber“ bedeutet im Streit, dass es nur eine Meinung gibt – die eigene, die richtig ist – und jeder versucht für seine Sicht zu kämpfen. „Ja, und“ bedeutet im Streit, dass zwei Sichtweisen gleichwertig nebeneinanderstehen können, dass beide Meinungen richtig sind. Es geht dann nicht um „Einer gewinnt“, sondern um „gemeinsam gewinnen“.

▪ Welche abstrakten, allgemeingültigen und lebensdienlichen Bedürfnisse liegen meinem Anliegen zugrunde? Vereinfacht zusammengefasst gibt es vier Bedürfniskategorien: Verbindung/Gemeinschaft, Sicherheit/Klarheit, Autonomie/eigene Kraft, Lebenslust/Entwicklung.

▪ Geht es wirklich um die Partnerschaft oder stecken andere Ursachen hinter dem Streit, zum Beispiel die Arbeit, die eigene Entwicklung oder die Eltern? Dann ist die Frage an den anderen: „Würdest du mir zuhören, um mich in dem Thema zu unterstützen?“

▪ War eine Situation, ein Satz oder eine Handlung verwirrend und sind Bilder oder Interpretationen im Kopf entstanden, die überprüft werden wollen? Dann geht es um Klarheit und die Frage an den anderen lautet: „Wieso hast du das getan oder gesagt?“  

▪ Geht es um die Beziehung selbst, wie man zueinandersteht, was etwas bedeutet? Dann ist die Frage an den anderen: „Wie geht es dir? Was bedeutet das für dich oder uns?“  

▪ Geht es um eine konkrete Handlung, die das Gegenüber tun oder lassen soll? Dann lautet die Frage an den anderen: „Machst du in Zukunft bitte … und lässt das andere?“

 

Tipp

Andrea Mergel, „Achtsame Kommunikation – Wertschätzende Begegnungen auf Augenhöhe“, Scorpio, 2017

 

Andrea Mergel ist Kunsttherapeutin, Kommunikationstrainerin, Mediatorin und Coach sowie Ausbilderin für „Gewaltfreie Kommunikation in Unternehmen und Organisationen“ nach Marshall Rosenberg.

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Andrea Mergel

Andrea Mergel

Andrea Mergel ist Kunsttherapeutin, Kommunikationstrainerin, Mediatorin und Coach sowie Ausbilderin für „Gewaltfreie Kommunikation in Unternehmen und Organisationen“ nach Marshall Rosenberg.
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