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Leben

Formen der Mantra-Meditation kommen in allen großen Religionen vor, im Christentum ebenso wie im Islam, im Hinduismus und auch im Buddhismus. Ein Blick auf diese alten Traditionen.

Mantra-Meditation ist eine Versenkungsform mithilfe monotoner Rezitation von Texten oder Lauten. Das Wort „Mantra“ stammt aus dem Sanskrit und bedeutet „Spruch“, „Lied“ oder „Hymne“. Die genaue Herkunft dieser Technik liegt völlig im Dunkeln. Klar ist nur, sie ist uralt. Älter als die Religionen, in denen sie heute praktiziert wird. In vielen religiösen Traditionen wird eine Gebetskette verwendet, um die Rezitationen zu strukturieren. Im katholischen Christentum ist dies der Rosenkranz, im Islam die „Misbaha“ oder „Tesbih“, im Hinduismus und tibetischen Buddhismus nennt sich die Gebetskette „Mala“. Im Zen heißt sie „Juzu“ oder „Nenju“.

Die hinduistische und buddhistische Mala hat traditionell 108 Perlen plus eine sogenannte Guru-Perle, die etwas dicker ist. Die Zählung des rezitierten Mantras beginnt mit einer der beiden Perlen direkt neben der Guru-Perle. Nach und nach lässt man jede der 108 Perlen durch die Finger gleiten, rezitiert bei jeder Perle das Mantra und erreicht am Ende wieder die Guru-Perle, die selbst nicht mitgezählt wird. Dann wird die Kette umgedreht, und man zählt erneut in umgekehrter Richtung.

Mantra

Die Deutungen, warum eine Mala genau diese Anzahl an Perlen hat, gehen weit auseinander. Sicher ist, dass der Zahl 108 in den asiatischen, vor allem aber in den indischen Religionen eine tiefe spirituelle Bedeutung zukommt. Im Buddhismus soll die Zahl die 108 Lehren Buddhas symbolisieren oder für die 108 irdischen Leidenschaften und Sehnsüchte des Menschen stehen. Viele buddhistische Tempel haben 108 Stufen, die die gleiche Anzahl an Schritten zur Erleuchtung darstellen. In Japan wird in zen-buddhistischen Tempeln am Ende des Jahres 108-mal eine Glocke geläutet. Im koreanischen Zen sind 108 morgendliche Verbeugungen üblich. In den Upanishaden, den wichtigsten antiken Schriften des Hinduismus, verfügen alle Götter über 108 Namen und Indien soll 108 heilige Stätten haben.

Andere Erklärungen, warum eine Mala 108 Perlen aufweist, sind eher praktischer Natur: So sollen Mantren in einem Durchlauf 100-mal wiederholt werden. Sollte man sich verzählen oder eine Perle ungeschickt aus den Fingern gleiten, hat man acht Wiederholungen in Reserve, um sicher auf die 100 geforderten zu kommen.

In vielen religiösen Traditionen wird eine Gebetskette verwendet, um die Rezitationen zu strukturieren.

Interessant ist, dass zu buddhistischer Mantra-Meditation kaum seriöse Literatur existiert. Die Mantra-Meditation ist noch immer stark in eine mündliche Überlieferungstradition eingebunden. Bei der tibetischen Mantra-Meditation spricht man das Mantra mit seinem Atem synchronisiert und lässt pro Sequenz eine Perle durch seine Finger gleiten. Gleichzeitig führt man eine Visualisierung durch. Zum Beispiel stellt man sich über seinem Kopf einen Bodhisattva, ein Erleuchtungswesen, vor. Dabei gibt es für jede Stimmung beziehungsweise für jedes Meditationsziel einen passenden Bodhisattva. Soll etwa Mitgefühl entwickelt werden, ist Bodhisattva Avalokiteshvara zuständig. Sucht man Schutz, kommt Tara, eine weibliche, friedvolle Manifestation erleuchteter Weisheit, infrage. Den Worten und Silben der Mantren selbst wird im Volksglauben oft eine heilsame und magische Wirkung zugeschrieben. Das wohl älteste und bekannteste tibetische Mantra ist „Om mani padme hum“ – „Oh du Juwel in der Lotusblüte“ und ist Ausdruck der grundlegenden Haltung des Mitgefühls.

Tausend oder mehr Perlen sind bei einer Tesbih-Kette der islamischen Sufis aufgereiht. Die Rituale, begleitet durch Trommeln, Tanz und Gesang, dauern deshalb oft Stunden. Die heute gängigen Tesbih bestehen meist aus 99 Perlen: dreimal 33 Perlen plus ein Element, das „Imame“ genannt wird.

Das Christentum entdeckt die Gebetskette früh. „So betet ohne Unterlass“, verlangte der Apostel Paulus (ca. 10–60 n. u. Z.). Der ägyptische Einsiedler Paulus von Theben (ca. 228–341 n. u. Z.) etwa, soll jeden Tag 300-mal den 51. Psalm gemurmelt haben. Er zählte die Durchgänge mit kleinen Steinchen, die jeweils nach erfolgter Rezitation von der linken in die rechte Tasche seiner Kutte wanderten. Schon bald stellten die ägyptischen Wüstenväter, so nannte man die Eremiten am Nil, fest, dass eine Perlenschnur praktischer zum Zählen von Rezitationen ist als kleine Steinchen. Sie verwendeten Gebetsketten aus Asien, die Malas.

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Aus dem Reisebericht eines russischen Pilgers aus dem 19. Jahrhundert erfahren wir, dass auf dem Berg Athos zur inneren Rezitation das „Herzensgebet“ oder „Jesusgebet“, ebenfalls eine Gebetskette, benutzt wurde. Athos ist seit byzantinischer Zeit ein Zentrum des christlich-mönchischen Lebens in Griechenland. Hier verwendeten die Mönche eine Kordel mit 33, 100 oder 500 Knoten. Der Pilger erzählt außerdem, dass er durch seine „chotki“, so heißen die Gebetsketten auf Russisch, durch wundersame Weise vor einem Angriff eines Wolfes gerettet wurde.

Lange blieb der Gebrauch von Gebetsketten im christlichen Kontext eine Domäne der Profis, wie Mönchen und Theologen. Dominikaner machten sie zum Bestandteil einer volkstümlichen Praxis. Sie wollten eine einfache, aber gehaltvolle Gebetsform in Umlauf bringen. So fand das Rosenkranzgebet Eingang in katholische Spiritualität. Hier wird zyklisch „Gegrüßet seist du Maria“ und das „Vaterunser“ gesprochen. Auch am Rande des Protestantismus wird die Mantra-Meditation, das „Jesugebet“ aus der Ostkirche, gepflegt. Im „Evangelischen Tagzeitenbuch“ der Evangelischen Michaelsbruderschaft findet sich eine Anleitung.

Vieles an der Mantra-Meditation erscheint doch eher okkult: Visualisierungen von Göttern, die nicht existieren, Wörter die magische Wirkung entfalten. Aber aus der empirischen Forschung wissen wir, dass speziell diese Meditationsform positive Effekte hat. Das Beten eines Rosenkranzes sei gut für Herz und Lunge, sorge für gleichmäßige und ruhige Atmung, die optimal für das Herz-Kreislaufsystem sei, berichtete 2001 das „British Medical Journal“. Das gleiche gelte für Mantren, den Meditationsformeln aus dem indischen Raum. Neurologisch betrachtet geschieht durch die monotone Wiederholung eines Textes, sei es ein Mantra oder ein Gebet, Folgendes: Die Alphawellen und Thetawellen im EEG sind nach Rezitation oft stundenlang, bei geübten Praktizierenden permanent erhöht. Alphawellen sind das Tor zur Meditation, sie sind als Brücke notwendig, damit Informationen aus dem Theta-Bereich in unser Wachbewusstsein gelangen können. Wenn wir so tief meditieren, dass wir nur noch Theta- und Deltawellen erzeugen, aber keine Alphawellen mehr produzieren, werden wir uns an die Inhalte der Meditation nicht erinnern können. Alphawellen sind deshalb besonders in Kombination mit anderen Hirnwellen bedeutsam. Thetawellen kommen im Traum (REM-Schlaf), in der Meditation, bei Gipfelerfahrungen und während kreativer Zustände vor. Im Theta-Bereich finden sich unsere unbewussten oder unterdrückten seelischen Anteile, aber auch unsere Kreativität und Spiritualität.

Die positiven Effekte sich monoton wiederholender Rezitation können ebenso therapeutisch eingesetzt werden: „Vocal Meditation“ ist eine Technik zur Hypnoseeinleitung und hypnotherapeutischen Nutzung in der modernen Psychotherapie. Dabei werden Klänge, in diesem Fall selbst ausgesuchte Vokale, verwendet. Auf diese fokussiert sich der Patient und gerät so in eine Trance. Die Vocal Meditation wird zum Beispiel zur Behandlung von Angststörungen genutzt.

Es ist häufig der Fall, dass uralte spirituelle Techniken einen messbaren neurologischen und psychologischen Effekt haben und deshalb oft auch auf physiologischer Ebene heilsam wirken. Dabei treten die Effekte unabhängig vom Setting auf. Ob man also mit dem Rosenkranz die Jungfrau Maria anruft, mit der „Tesbih“ die Größe Allahs preist, „Om mani padme hum“ rezitiert oder selbst kreierte kurze Sätze oder Vokale nutzt, ist dabei zweitrangig. Probieren Sie es doch einfach selbst aus.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 115: „Rede mit mir!"

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 Anleitung zur Mantra-Meditation

Die Mantra-Meditation ist eine individualisierbare Technik. Hier ist Platz, eine sehr persönliche Variante zu finden. Man kann ein Mantra auch singen, anstatt es zu sprechen. Dann nennt man es „Chanten“. Das Chanten macht in der zurückhaltenden Begleitung von Musikinstrumenten besondere Freude. Mantren kann man allein rezitieren oder gemeinsam mit anderen, im Sitzen, im Stehen, im Gehen oder beim Gemüseschneiden. Zum ersten Ausprobieren empfiehlt es sich allerdings, sich zu setzen.

  • Entscheiden Sie sich, welches Mantra Sie sprechen möchten, zum Beispiel: „Om mani padme hum“ oder „Ich bin ganz im Hier und Jetzt“.
  • Nehmen Sie eine Sitzposition ein, in der Sie es mit geradem Rücken bequem für einige Minuten aushalten können – auf einem Meditationskissen, einem Bänkchen oder auf einem Stuhl. Legen Sie Ihre Hände locker auf Ihre Oberschenkel oder in Ihren Schoß. Eine Hand hält die Mala zum Zählen der Rezitationen. Schließen Sie die Augen.
  • Beginnen Sie mit der ersten Perle nach der Guru-Perle. Halten Sie sie zwischen Daumen und Zeigefinger. Nehmen Sie achtsam wahr, wie Ihre Finger die Perle halten. Sprechen Sie Ihr ausgewähltes Mantra. Tun Sie es langsam, in aller Ruhe. Verbinden Sie das Mantra gedanklich mit dieser einen Perle.
  • Gehen Sie zur nächsten Perle und wiederholen Sie den Vorgang, bis Sie wieder zur Guru-Perle zurückgekehrt sind.
  • Wenn Ihre Gedanken abschweifen, dann ist das vollkommen normal. Ärgern Sie sich nicht. Kehren Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit zu Ihren Fingern, die die Perle halten, und zu Ihrem Mantra zurück.
  • Sind Sie wieder bei der Guru-Perle angelangt, erlauben Sie es sich, die Augen noch geschlossen zu halten und die Meditation eine kleine Weile ausklingen zu lassen. Recken und strecken Sie sich.

 Hendrik Hortz, Jahrgang ‘65, im Ruhrgebiet geboren und aufgewachsen, Religionswissenschaftler (studierter ev. Theologe und Philosoph), Journalist und Unternehmer. Erste Meditationserfahrungen vor fast 40 Jahren, Buddhist seit etwa 10 Jahren. Herausgeber und Chefredakteur der Ursache\Wirkung.

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Hendrik Hortz

Hendrik Hortz

Frank Hendrik Hortz, Jahrgang ‘65, im Ruhrgebiet geboren und aufgewachsen, Religionswissenschaftler (studierter ev. Theologe und Philosoph), Journalist und Unternehmer. Erste Meditationserfahrungen vor fast 40 Jahren, Buddhist seit etwa 10 Jahren. Herausgeber und Chefredakteur der Ursache\Wirkung.
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