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Meine Lebensgefährtin hat mich vor ein paar Wochen verlassen. Ich war in meinem ganzen Leben noch nie „alleine“. Meine Beziehungen gingen sozusagen ineinander über. Jetzt stehe ich da und komme mit der Situation, allein zu sein, nicht zurecht. Kann mir der spirituelle Weg helfen, diese Angst zu besiegen, bzw. wie kann ich diese Angst besiegen?

 

MoonHee beantwortet hier Fragen des alltäglichen Lebens oder Fragen, die ihr schon immer einmal stellen wolltet. In ihrem ersten Beitrag „Wie geht es dir heute? Danke, gut!“ findet ihr mehr Informationen dazu.

Antwort MoonHee:

Menschen brauchen Menschen. Ohne Verbundenheit und Gemeinschaft kann der Mensch als soziales Wesen weder physisch noch psychisch gut leben. Der Buddhismus lehrt: Alles ist miteinander verbunden – nichts existiert für sich allein. Allerdings rät Buddha auch, lieber allein zu wandern als in schlechter Gesellschaft.

Auch wenn wir im Alleinsein, vor allem nachdem wir von einem geliebten Menschen verlassen wurden, erst einmal nichts Gutes sehen können, liegt darin die großartige Chance, sich selbst neu zu begegnen. Schön sagt Hermann Hesse: „Nur im Alleinsein können wir uns selbst finden. Alleinsein ist nicht Einsamkeit, sie ist das größte Abenteuer!“ Und der Philosoph Arthur Schopenhauer meinte: „Ein Mann kann nur er selbst sein, solange er allein ist; und wenn er die Einsamkeit nicht liebt, wird er die Freiheit nicht lieben; denn nur wenn er allein ist, ist er wirklich frei.“

Jeder Mensch ist allein, ganz gleich, wo wir stehen – nur viele bemerken es nicht. Wir neigen dazu, diese Tatsache mit viel Lärm und Tamtam zu übertünchen. Doch wir stehen immer allein auf und gehen immer allein ins Bett. Das will sagen, egal wer oder wie viele Menschen um uns herum sind, wir sind immer auf uns selbst zurückgeworfen und bleiben den anderen ein Geheimnis. Wir können noch so viel über uns erzählen, unsere Gefühle und Gedanken mit anderen teilen, wir bleiben immer ein anderer; so wie der andere sich einer 100%igen Begreifbarkeit entzieht. Wie oft dachten wir, dass wir den anderen kennen, und haben uns geirrt.

Das Alleinsein sichert nicht nur unsere Privatsphäre, es ist die Voraussetzung dafür, ein ganz individuelles Wesen zu sein. Lebewesen haben ein subjektives Erleben – und je bewusster sie sind, desto mehr können sie sich selbst erfahren. Allein sein ist also keine Strafe, sondern die Bedingung dafür, sich selbst erfahren zu können, und zwar fern jeglicher Fremdbeeinflussung und Manipulation. Das Alleinsein wirft uns auf das Wesentliche zurück. Ob uns das Alleinsein schmerzt oder nicht: Das Wesentliche erfährt man nur im Alleingang. Wir können Liebe, Freude und einen Sonnenaufgang mit jemandem teilen, aber das Erleben ist immer persönlicher Natur. Wäre dem nicht so, wären wir keine Individuen und bräuchten keine Psychologie. Leider ist das Alleinsein in unserer Überfluss-, Freizeit- und Konsumgesellschaft aus der Mode gekommen und das Erkennen des Wesentlichen ins Hintertreffen geraten. Selbst wenn wir physisch allein sind, sind wir es nicht. Immer beschäftigen wir uns mit etwas; lassen uns beschallen, ablenken und unterhalten. Wer kennt das Alleinsein heute noch? Wer nimmt sich ganz bewusst Zeit des Alleinseins und genießt sie?

Das Unglück des modernen Menschen ist, dass er nicht weiß, wer er ist. Und wer nicht weiß, wer er ist, ist abhängig und bedürftig – von anderen Menschen, von Meinungen anderer, von Dingen und Konsum. Er ist der unfreie Mensch, der nicht aus sich heraus denkt, fühlt und handelt. Vielmehr denkt, fühlt und handelt er so, wie die Gesellschaft es wünscht. Da wir Menschen aber nicht der andere sein möchten und können – wir können immer nur wir selbst sein, ob wir uns mögen oder nicht –, wird unser Leben ambivalent.

Angst

Der Unterschied zwischen einem freien und einem unfreien Menschen ist, dass der freie mit sich allein sein kann, aber es nicht muss. Wahre Freiheit ist nicht Freiheit von etwas, sie ist Freiheit zu etwas. Paradoxerweise wird das Frei-werden von etwas (Ängsten, Süchten, schlechten Angewohnheiten, Selbstentfremdung etc.) nicht durch Ablehnung und schon gar nicht durch Selbstaufgabe gewonnen – Freiheit ist allein dort, wo vollkommene Annahme ist. Demnach ist Freiheit kein starrer Endzustand, sondern ein Prozess von Offenheit und des ständigen Werdens, im besten Fall: das Werden seiner Selbst. Indem der Mensch wahrlich er selbst wird, wird er sich selbst zum Freund. Wie Seneca feststellte: Wer mit sich selbst Freund ist, hat viel gewonnen, denn man kann dann niemals mehr einsam sein. Wer kennt nicht das Gefühl, mit anderen zusammen zu sein und sich dennoch einsam zu fühlen oder einfach nicht anwesend zu sein? Analog zur Freiheit ist Einsamkeit ein innerliches Empfinden und weniger von äußerlichen Faktoren abhängig.

Nach einer aktuellen Studie können intelligente Menschen besser und lieber mit sich allein sein. Die Gründe dafür sind: eigenständiges Denken statt Herdentrieb, sie sind ambitionierter, produktiver, handeln lösungsorientierter und fokussierter. Weil dies so ist, lassen sie sich weniger ablenken und sind dadurch weniger auf Hilfe anderer angewiesen. Des Weiteren kann das andere Denken zu Kontroversen führen, und so zieht man sich lieber zurück. Auch sucht der Intelligente seinesgleichen und zieht tiefgründige Gespräche oberflächlicher Plauderei vor. Da er mit sich selbst gut kann, ist sein Geltungsdrang eher gering. Seine Introvertiertheit macht ihn zu einem achtsamen Beobachter und zu einem guten Zuhörer. Der Mensch, der mit sich allein sein kann, ist deshalb der intelligente, weil er Klarheit, Reflexions- und Einfühlungsvermögen besitzt – sich selbst und anderen gegenüber. Wahre Intelligenz kann nicht an einem hohen IQ oder irgendwelchen akademischen Titeln gemessen werden, menschliche Intelligenz zeigt sich in Authentizität und Selbstständigkeit. Die Bedingung hierfür ist radikale Ehrlichkeit mit sich selbst. Nur wer ehrlich mit sich selbst ist, kann wissen, wer er ist. Solange man noch im Verdrängungsmodus lebt, ganz gleich welcher Art, sind weder Selbsterkenntnis noch Selbstannahme möglich.

Das Problem mit dem Alleinsein liegt nicht an einem fehlenden Anderen, sondern am Mangel an sich selbst. Wer sich selbst nicht (er-)kennt, ist nicht gerne (mit sich) allein. Auf dem spirituellen Weg wird geraten, schlechte Gesellschaft zu vermeiden. Gute Gesellschaft fängt jedoch immer bei sich selbst an. Anders gesagt: Wer Angst vor dem Alleinsein hat, hat Angst vor sich selbst – weil da Nichts ist. Wer aber eine liebevolle und gleichwertige Beziehung wünscht, sollte vor allem eine liebevolle und ausgewogene Beziehung zu sich selbst pflegen. Der Weg zum Anderen geht immer über sich Selbst. SELBST IST NICHT ICH. Alle Probleme sind ich-gemacht: Es ist das Ich, das sich als ein getrenntes, einsames und verlorenes Ding ansieht. Im Gehen des spirituellen Weges erkennt man sich selbst als ein Selbst, welches das Wesen allen Seins ist. Das Selbst ist im Gegensatz zum Ich absolute Verbundenheit. Im Selbst wird nichts ausgeschlossen – alles ist ein Selbst. Selbst bedeutet universelle Einheit, und wo Einheit ist, kann es kein leidvolles Alleinsein geben. Es verhält sich eher so, dass in der vollkommenen Einheit universelles All-eins-sein herrscht. Da alles miteinander verbunden ist, ist alles eins. In der Mystik (Einheitsliebe) weiß man: Die Bedingung des All-einen ist das Alleinsein; die Erfahrung der All-Einheit ist allein durch Alleinsein möglich. Denn nur im Alleinsein sind wir ganz bei uns Selbst und nicht selbstentfremdet beim Anderen. – Sind wir jedoch bei uns Selbst, dann sind wir auch beim Anderen. Aufgrund der universellen Natur des Selbst sind wir wir selbst und zugleich auch all das, was ist. Unsere Selbstnatur ist nicht Ich, ist nicht Getrenntheit, sondern vollkommenes All-ein-sein. Wer wahrhaftig und gerne all-eine ist, ist nicht einsam.

Weitere Fragen & Antworten von MoonHee Fischer finden Sie hier.

Sie haben eine Frage? Schreiben Sie an m.fischer@ursachewirkung.com

Bilder Teaser und Text© Pexel
Bild Header © Sigurd Döppel 

Dr. phil. MoonHee Fischer

Dr. phil. MoonHee Fischer

„Was eines ist, ist eines. Was nicht eines ist, ist ebenfalls eines.“ (Zhuangzi) Jenseits eines dualistischen Denkens, im Nichtgeist, gibt es weder das Eine noch ein Anderes. Wo das Eine sich von einem Zweiten abgrenzt, ist keine Einheit, sondern Zweiheit. Die Erfah-rung des Einen – ich bin al...
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