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Achtsamkeit & Meditation

Jochen Weber im Interview mit Ursache\Wirkung Herausgeber Hendrik Hortz. Jochen Weber ist zusammen mit seiner Frau Stifter und Vorstand der 2002 gegründeten Buddhastiftung mit Sitz in Heidelberg.

Der Stiftungszweck ist hauptsächlich die Förderung des Dialogs zwischen Buddhismus, Philosophie, Wissenschaft, Kunst und Religionen sowie die Förderung des Dialogs zwischen den verschiedenen buddhistischen Traditionen. Jochen Weber ist Arzt. Er unterrichtet Vipassana-Meditation sowie MBSR.

Hortz: Jochen, wir kennen uns seit einer Weile, weshalb ich dich in diesem Interview duzen darf. Du erzähltest mir, dass du seit etwa 25 Jahren Buddhist bist.

Weber: Anlass, mich auf die Suche zu begeben, war eine familiäre Situation, die nicht einfach so zu lösen war. Ich musste einen Weg finden, wie ich mit ihr umgehen, wie ich das akzeptieren kann. Davor war ich in meiner Studienzeit mehr als drei Jahre in Asien unterwegs. Da bleibt es auch nicht aus, dass man dem Buddhismus begegnet. Irgendwann bin ich durch Zufall auf die erste Übersetzung des Buches von Jon Kabat Zinn zu seinem MBSR-Programm gestoßen. Ich reiste dann 2001 in die USA zu Jon Kabat Zinn. Drei Jahre später war ich der zweite zertifizierte MBSR-Lehrer in Deutschland.

Ich passte MBSR für meine Dialysepatienten an. Ich bin ja Nephrologe und behandle Menschen mit Nierenerkrankungen. Dialysepatienten haben das Problem, dass sie etwas machen müssen, was sie gar nicht machen wollen. Sie sind regelmäßig gezwungen, eine unangenehme Situation durchzustehen. Dialysepatienten müssen dreimal in der Woche für vier Stunden zur Blutreinigung. Mit entsprechenden Achtsamkeitsübungen können sie lernen, besser damit umzugehen. Ich habe MBSR auch für andere Patientengruppen, für Klinikpersonal, in der Volkshochschule und in DAX-Unternehmen unterrichtet.

Wie ging es für dich weiter?

Ich wurde auf Stephen Batchelor durch sein Buch „Buddhismus für Ungläubige“ aufmerksam. Auch hier suchte ich den persönlichen Kontakt und fuhr zu einem ersten Retreat nach England ins Gaia-Haus. Aus der Begegnung mit Stephen Batchelor entwickelte sich eine Freundschaft. Aber auch Sylvia Wetzel und Thich Nhat Hanh haben mich eine Weile begleitet. Von Sylvia nahm ich traditionsübergreifende, feministische und politische Ansätze mit.

Meine buddhistische Praxis war immer von Achtsamkeit im Alltag und der Auseinandersetzung mit säkularen Ansätzen geprägt. Von dort aus entstand ein Interesse für die alten buddhistischen Texte. Über sie bin ich dann zum Vipassana gekommen, das ich heute praktiziere. Ich würde mich als Vipassana-Lehrer und Praktizierender eines säkularen Dharma bezeichnen.

Dein Hauptanliegen bei der Gründung der Buddhastiftung war die Vernetzung. Sie sollte eine Kommunikationsplattform sein.

Genau. Die Idee war, einen Dialog zwischen den Traditionen unter Berücksichtigung unserer heutigen Lebenswelt und auch der Wissenschaft zu fördern. Mir war damals bei der Gründung der Stiftung schon klar, dass sich die buddhistische Welt im Westen zu etwas anderem entwickeln wird, zu etwas, das sich von den in Asien verwurzelten Traditionen deutlich unterscheidet.

Und „das Fundament bildet dabei die Idee des ‚säkularen Buddhismus‘“, heißt es in der Satzung der Stiftung. Was bedeutet „säkularer Buddhismus“ für dich?

Säkularer Buddhismus wirft den Praktizierenden auf sich selbst zurück. Das entspricht nach meinem Verständnis dem Grundgedanken der Lehre Buddhas, dem Buddhadharma. Als säkularer Buddhist bin ich unabhängig von den etablierten Traditionen. Die Unabhängigkeit hat jedoch den Preis, dass ich selbst verantwortlich dafür bin, den Sinn und die Wirksamkeit der Lehren im Alltag für mich zu erkennen und zu erfahren. Säkularer Buddhismus ist für mich „Buddhismus für Unabhängige“ und nicht nur für „Ungläubige“. Das heißt nicht, dass es nicht hilfreich ist, erfahrene Menschen zu haben, die den Weg schon ein Stück gegangen sind und uns begleiten.

Wenn ich mich im säkularen Buddhismus so umschaue, entdecke ich vor allem zwei Tendenzen. Erstens die Ablehnung metaphysischer Spekulationen: Niemand will mehr an etwas glauben, das jenseits der eigenen Erfahrungsmöglichkeit liegt. Und zweitens ein traditionsübergreifendes Denken: das Bewusstsein, dass alle buddhistischen Traditionen etwas Wertvolles entwickelt haben, dass für die eigene Praxis hilfreich sein kann.

Dem würde ich grundsätzlich zustimmen. Mir sind fertige Antworten auf metaphysische Fragen recht gleichgültig, weil das Dinge sind – so wie du es formulierst –, die jenseits der möglichen menschlichen Erfahrungswelt liegen. Und selbst wenn ich hierzu etwas wissen könnte, ist es für mein alltägliches Leben irrelevant. Am Ende muss ich im Alltag doch wieder spontan ethische Entscheidungen treffen, bei denen mir metaphysische Antworten nicht weiterhelfen. Das hat auch der Buddha so gesehen.

Wenn dir Antworten auf metaphysische Fragen gleichgültig sind, was bewegt dich?

Der Versuch, etwas von einer früheren Autorität abzuleiten, ist ungeeignet, um Buddhas Lehre für heute zu verstehen. Wir können das Dharma immer nur im Kontext unserer aktuellen Lebenswelt erfassen. Anders ist dies nicht möglich. Die klassischen Texte sind Ausdruck vergangener Lebenswelten. Weshalb wir sie nur verstehen können, wenn uns die Kontexte bekannt sind, in denen sie entstanden sind. Die bestehenden Traditionen betonen jeweils unterschiedliche Aspekte des Buddhadharma. Diese waren in der damaligen Lebenswelt für die Menschen von Bedeutung. Das heißt aber nicht, dass alle diese Aspekte für uns heute eine Bedeutung haben müssen.

Immer, wenn der Buddhismus in eine andere Kultur kommt, dann kommt es erst einmal zu einer Krise.

Richtig, weil der Kontext nicht mehr stimmt. Das ist in der Vergangenheit schon mehrfach passiert. So ein Prozess läuft meist in drei Phasen ab. Das Ankommen löst eine Krise bei den etablierten Traditionen aus, weil sich andeutet, dass Altes neu interpretiert werden muss. Das will die Tradition aber nicht. Die zweite Phase ist genau dies: Die Interpretation alter Weisheit im neuen Kontext. Das tun wir gerade im Westen. Wir verbinden die Lehre Buddhas mit unserer Philosophie, mit Wissenschaft, mit Pragmatismus, mit Rationalismus mit westlichen Werten wie Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit – was uns als „Säkulare“ von den Etablierten vorgeworfen wird. Die dritte Phase ist dann leider oft die Institutionalisierung. Dann ist wieder eine neue Tradition entstanden. Dies bleibt uns aber nur dann erspart, wenn wir das Dharma als lebendige, pluralistische Tradition neu beleben.

Hat für dich Transzendenz einen Platz im säkularen Buddhismus?

Transzendenz im klassischen Sinn, auf ein dauerhaftes, absolutes Etwas jenseits unserer Erfahrungsmöglichkeiten zu verweisen? Nein. Staunen oder Wundern? Ja. Staunen über die Tatsache zum Beispiel, dass wir und die Welt überhaupt existieren, ohne eine Antwort darauf zu kennen, warum das so ist. Manche würden die Erfahrung von Sinn, Freundschaft oder Liebe als transzendent bezeichnen. Transzendenz ist vielleicht die Totalität dessen, was wir erfahren können.

Weber

Noch einmal kurz zurück zur Buddhastiftung. Die Stiftung orientiert sich an Stephen Batchelor. Er und seine Frau Martine sind Schirmherren. Batchelor hat sich nach meinem Empfinden vom Buddhismus verabschiedet. Darum spricht er nicht mehr vom „säkularen Buddhismus“, sondern vom „säkularen Dharma“. Ist das nicht schon ein Schritt zu weit? Oder ist das für dich in Ordnung?

Das ist für mich in Ordnung, weil Stephen sich von etwas verabschiedet, das es gar nicht gibt. Der Begriff „Buddhismus“ ist eine westliche Zuschreibung, die im 18. Jahrhundert entstand. Sie impliziert, dass es da irgendeine homogene Sache gibt. In Wirklichkeit gab es immer nur die Lehre Buddhas in Verbindung mit unterschiedlichen Kulturen. So entstanden unterschiedliche Interpretationen des Dharma, sozusagen unterschiedliche Buddhismen. Schaut man sich etwa tibetischen oder thailändischen Buddhismus an und japanisches Zen, dann haben sie in ihrer gelebten Form nicht viel miteinander zu tun, außer dass sie Spiegelbild ihres jeweiligen soziokulturellen Kontextes sind.

Wie lautet deine Prognose? Wo siehst du den Buddhismus im Westen in fünfzig oder hundert Jahren?

Was sich bereits zeigt, ist, dass sich Buddhismus im Westen in einer großen Breite präsentiert. Da ist einmal der Sympathisant, der sich eine Buddhafigur in den Vorgarten setzt und nicht weiter darüber nachdenkt. Aber trotzdem tut er das ja nicht ohne Grund. Das ist das eine Ende des Spektrums. Das andere ist vielleicht durch diejenigen repräsentiert, die sich voll ordinieren lassen und sich sagen: „Das ist jetzt mein Lebensweg!“ Dazwischen gibt es viele Schattierungen, und auch Synkretismen, wie christliches Zen. Und vor allem auch einfach Achtsamkeit als Praxis und für manche als Form von Spiritualität. Der Buddhismus wird durch die, die ihn in unserer Kultur praktizieren, anpasst und umgebaut werden, er wird pluralistisch werden, ob das jemandem passt oder nicht.

Und dann ist da noch eine grundlegende Skepsis gegenüber Autoritäten.

Völlig richtig. Das Konzept von Autorität trägt nicht mehr. Wir sehen allgemein in unserer Gesellschaft, dass Autoritäten an Gewicht verlieren – auch in den Religionen. Wir sind dabei, äußere Autoritäten durch eine innere zu ersetzen. Wir sind selbst unsere eigene Autorität. Es vollzieht sich damit im Buddhismus, was sich in der christlichen Kirche durch die Reformation vollzogen hat. Wir wollen keine Verkünder von Dogmen mehr. Jeder von uns ist selbst in der Lage, zu erkennen und zu verstehen. Es wird deutlich, dass die klar definierten, abgegrenzten asiatischen buddhistischen Traditionen ein Auslaufmodell für Menschen im Westen sind.

Egal, wohin es läuft, wir unabhängigen Buddhisten und Buddhistinnen müssen eine Sangha schaffen. Wenn sich der Buddhismus im Westen etablieren soll, muss sich das, was wir verinnerlicht haben, sozial niederschlagen.

Die MBSR-Bewegung hat es mit Übungen, die originär buddhistisch sind, in die Mitte der Gesellschaft geschafft. Millionen Menschen haben bereits – aus sehr unterschiedlichen Gründen – einmal einen Achtsamkeitskurs besucht. Der Buddhismus selbst ist aber eine Randerscheinung geblieben. Was machen Buddhisten falsch?

Zunächst stimmt mich das, was du sagst, hoffnungsfroh. Wenn Millionen Menschen mit Achtsamkeit in Berührung gekommen sind und vielleicht nur fünf Prozent von ihnen dauerhaft Achtsamkeit praktizieren und davon noch einmal fünf Prozent schauen, wo kommen die Übungen eigentlich her, dann ist das doch eine großartige Entwicklung. Diese Menschen müssen wir dann nur noch abholen.

An dieser Stelle scheint mir aber eine Schwierigkeit zu liegen.

Wir Buddhisten haben ein Problem mit der Sichtbarkeit. Buddhisten gehen oft nicht raus, sondern bleiben unter sich, in ihren Echokammern. Sie streiten sich lieber mit ihresgleichen über verschiedene Auslegungen des Dharma und über Eigenheiten der unterschiedlichen Traditionen. Das ist eine Sackgasse. Wir sind doch der Überzeugung, dass das Dharma gut ist für uns und andere. Das muss in Aktion übersetzt werden, statt die unlösbare Frage zu wiederholen, wer denn nun recht hat mit seiner Interpretation des Dharma.

Die Frage der gesellschaftlichen Relevanz des Buddhadharma ist aber klar.

Ich sehe das Dharma auch als Handlungsanleitung für die Gesellschaft. Gotama, der Buddha, hat das vorgelebt. Er hat sich mit den Mächtigen seiner Zeit an einen Tisch gesetzt, wohlwissend, dass er nur bedingt Einfluss hat, und hat dennoch gesellschaftliche Veränderungen bewirkt. Er war immer Pragmatiker. Wir sollten als Buddhisten in diesem Sinne auch politisch handeln und nicht nur hier und da ein nettes soziales Projekt starten. Wir müssen uns von der Vorstellung lösen, dass Dharmapraxis bedeutet, nur auf dem Kissen zu sitzen und Selbstoptimierung zu betreiben. Das ist mein Appell an die buddhistische Community!

Vielen Dank für das Gespräch, Jochen.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 119: „Zukunft gestalten"'

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Hendrik Hortz

Hendrik Hortz

Frank Hendrik Hortz, Jahrgang ‘65, im Ruhrgebiet geboren und aufgewachsen, Religionswissenschaftler (studierter ev. Theologe und Philosoph), Journalist und Unternehmer. Erste Meditationserfahrungen vor fast 40 Jahren, Buddhist seit etwa 10 Jahren. Herausgeber und Chefredakteur der Ursache\Wirkung.
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