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Achtsamkeit & Meditation

Neueste Studien der Psychoneuroimmunologie ergeben, dass Mind-Body-Techniken wie Yoga, Tai Chi und Qi Gong das autonome Nervensystem beeinflussen und eine entzündungshemmende Wirkung haben. Ein Gespräch mit dem Experten der Psychoneuroimmunologie Christian Schubert.

Was ist die Psychoneuroimmunologie?

Die Psychoneuroimmunologie ist jene Wissenschaft, die sich mit den grundlegenden Verbindungen zwischen psychischen, hormonellen, neuroendokrinen und immunologischen Vorgängen beschäftigt. Immer öfter wird gefragt, wie die wechselseitigen psychoneuroimmunologischen Verbindungswege genutzt werden können, um die eigene Immunologie positiv zu beeinflussen. Es gibt ein zunehmendes Verständnis der gegenseitigen Beeinflussung zwischen den beteiligten Systemen. Dadurch kommt es zu einem Verschwimmen von Ursache und Wirkung psychischer und physischer Erkrankungen.

Was sind die neuesten Erkenntnisse aus der Psychoneuroimmunologie?

Seit ihren Anfängen Mitte der 1970er Jahre beschäftigt sich die Psychoneuroimmunologie mit dem Einfluss von psychischen Faktoren auf das Immunsystem. Bahnbrechende wissenschaftliche Ergebnisse zeigen nun auch auf, dass das Immunsystem einen maßgeblichen Einfluss auf die Psyche hat. Eine übermäßige oder anhaltende Entzündung im Körper kann das menschliche Denken, Fühlen und Handeln dermaßen beeinflussen, dass Lustlosigkeit, Müdigkeit, sozialer Rückzug, ja sogar depressive Zustände folgen!

Wovor schützt uns das Immunsystem?

Das Immunsystem schützt sowohl vor viralen und bakteriellen Angriffen, also vor Bedrohungen aus unserer vielfältigen Lebensumwelt, als auch vor körpereigenen Gefahrenquellen, wie beispielsweise entarteten Zellen, also Krebs-Zellen. Auf Stress oder psychische Belastung reagiert der Organismus mit einer immunologischen Verteidigungsreaktion.

Was passiert kurzfristig im Körper, wenn wir unter Stress stehen?

Im Falle eines psychischen oder physischen Stressreizes kommt es unmittelbar zu einer Aktivierung des autonomen Nervensystems, die es dem Organismus ermöglicht, schnell mit Flucht oder Kampf auf Gefahren zu reagieren. Durch die Aktivierung des autonomen Nervensystems findet unter anderem auch eine immunologische Stressreaktion statt, die sich zunächst in einer Entzündungserhöhung präsentiert.

Und wenn der Stresszustand lange anhält?

Langfristig würde sich der stressbedingte Entzündungsanstieg gewebs- beziehungsweise zellschädigend auswirken. Die Stressreaktion des Körpers selber könnte daher weitaus gefährlichere Konsequenzen haben als die ursprüngliche Gefahrenquelle. Deshalb werden stressbedingte Entzündungsanstiege normalerweise auch wieder schnell herunterreguliert. Bei chronischem Stress kann es jedoch zu längerfristigen Funktionsstörungen in der neuroimmunologischen Stressverarbeitung kommen, dadurch können ungezügelte, lang andauernde Entzündungen im Körper entstehen. Diese wiederum stehen in Zusammenhang mit bestimmten Erkrankungen, wie beispielsweise Allergien, Krebs oder Autoimmunerkrankungen, sowie einer verkürzten Lebensspanne.

Warum ist eine gesunde Reaktion auf Stress so wichtig?

Schubert: Ein guter Umgang mit Stress würde den Körper entlasten. Der Versuch vieler Menschen, besser mit Stress umgehen zu können, hat in den letzten Jahrzehnten zu einem enormen Aufschwung jahrtausendealter sowie moderner achtsamkeitsbasierter Verfahren geführt. Jon Kabat-Zinn verhalf der Meditation 1979 zum Weg ins Gesundheitssystem, um Patienten bei der Bewältigung von Krankheit, Stress und Angst zu unterstützen. MBSR (Mindfulness-Based Stress Reduction) setzt sich aus achtsamkeitsbasierter Meditationspraxis, allgemeinem Hatha-Yoga sowie Techniken der kognitiven Verhaltenstherapie zusammen. Die symptomverbessernde Auswirkung eines solchen Meditationstrainings auf unterschiedliche Erkrankungen wie Diabetes, Krebs, Depressionen oder Psoriasis gilt mittlerweile als wissenschaftlich bestätigt.

Können Sie uns ein Beispiel nennen, wie MBSR auf Menschen wirkt?

In einer Studie an Erwachsenen im Alter von 55 bis 85 Jahren wurde beispielsweise ein Zusammenhang zwischen berichteter Einsamkeit und Entzündungswerten im Körper deutlich. Bei denjenigen Personen, die am MBSR-Programm teilnahmen, konnte im Vergleich zu einer Wartelistengruppe ohne MBSR eine signifikante Reduktion der Entzündungswerte festgestellt werden. Aufgrund dieser Ergebnisse könnte MBSR eine geeignete Methode sein, um Einsamkeit und die damit in Verbindung stehenden erhöhten Entzündungswerte zu reduzieren. Aufgrund des erhöhten Krankheits- und Sterblichkeitsrisikos bei einsamen Personen verdient dieses Ergebnis besondere Beachtung.

Was ist die Mind-Body-Medizin?

Meditation wird neben Hypnose, Yoga, mentaler Imagination oder Progressiver Muskelentspannung der Mind-Body-Medizin zugeordnet. Der Mind-Body-Begriff, kurz MBT genannt, umfasst Techniken, die das Zusammenspiel von Körper und Geist nutzen sollen, um den Heilungsprozess zu begünstigen – Methoden, die durch gemeinsame Elemente wie gemäßigte physische Aktivität, Tiefenatmung und/oder Stressreduktion als verbunden angesehen werden.

Was bewirken die Achtsamkeitsübungen genau?

Meditation hat positive Auswirkungen auf das autonome Nervensystem. Unterschiedliche MBTen sind nachweislich geeignet, um eine ‚Relaxation Response‘, eine sogenannte Anti-Stress-Reaktion, auszulösen. Sonst unbewusste Prozesse des autonomen Nervensystems, die in unmittelbarer Verbindung mit entzündungssenkenden Prozessen stehen, scheinen demnach durch entsprechendes Training gezielt beeinflusst werden zu können.

Körper

Haben MBTen eine längerfristige Wirkung?

In unseren bisher durchgeführten integrativen Einzelfallstudien zeigte sich konsistent, dass emotional bedeutsame Alltagserlebnisse von Veränderungen der Stresshormonausschüttung und der Entzündungswerte gefolgt sind. In einer solchen Studie an einer 49-jährigen Brustkrebspatientin zeigte sich darüber hinaus, dass sich körpertherapeutische Interventionen wie Jin Shin Jyutsu, Tai Chi, Krankengymnastik und energetisches Heilen signifikant auf das Stresssystem auswirken: Immer wenn die Patientin während der Studie eines der oben angeführten körpertherapeutischen Verfahren anwendete, kam es nach 72 bis 84 Stunden zu einer Entzündungsreduktion im Körper der Patientin. Auch wenn dieses Ergebnis ‚nur‘ mittels Einzelfallstudie erzielt worden ist, so kann es doch als ein weiterer valider Baustein des ‚Mind-Body-Immun-Puzzles‘ angesehen werden.

Welchen Einfluss haben die Erkenntnisse der Psychoneuroimmunologie auf die Medizin der Zukunft?

Techniken wie Meditation, Qi Gong oder Biofeedback sind zwar kaum in die Mainstream-Medizin integriert, stoßen jedoch auf großes Interesse in der Bevölkerung und werden in der ganzheitsmedizinischen Praxis erfolgreich genutzt. In der westlichen Medizin konnte deren Wirkung wissenschaftlich bisher nicht ausreichend nachvollzogen werden, was eine geringe Akzeptanz komplementärmedizinischer Behandlungsalternativen in der Schulmedizin zur Folge hatte. Moderne wissenschaftliche Errungenschaften, die die Möglichkeit einer gezielten subjektiven Einflussnahme auf Entzündungen nahelegen, könnten Erfolge aus der Praxis in Zukunft auch empirisch untermauern.

Das sind doch bahnbrechende Erkenntnisse, die nicht außer Acht gelassen werden sollten.

Die Psychoneuroimmunologie birgt so die Chance in sich, die starren Grenzen innerhalb der Biomedizin zu überwinden. Voraussetzung dafür sind aber politische und kulturelle Umstände, die es zulassen, in Zukunft nicht mehr kranke Körper ohne Seelen oder leidende Seelen ohne Körper zu behandeln, sondern den Menschen in seiner biopsychosozialen Gesamtheit. Die Tatsache, dass immer mehr gesetzliche Krankenkassen in Deutschland das Erlernen von Meditation und anderen Mind-Body-Techniken zumindest teilweise mitfinanzieren, spricht für einen Schritt in eine ganzheitliche Richtung.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 94: „Ein gutes Leben"

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Univ.-Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Christian Schubert, geboren 1961, Studium der Medizin und Psychologie in Innsbruck. Seit 1995 Leiter des Labors für Psychoneuroimmunologie der Universitätsklinik für Medizinische Psychologie Innsbruck. Autor von zahlreichen Fachartikeln und dem Buch ‚Psychoneuroimmunologie und Psychotherapie‘.

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Ester Platzer

Ester Platzer

Ester Platzer, 1979, lebt in Wien und ist Mitglied der Chefredaktion bei Ursache\Wirkung. Davor lebte und arbeitete sie viele Jahre in Ostafrika. Ester absolvierte ihr Magisterstudium in internationaler Entwicklung an der Universität Wien.
Kommentare  
# Thilo Martinho 2017-08-13 11:55
Thilo Martinho Und jetzt die Schlaumeier...
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